4 von 5
jommelli
Top 50 Rezensent
15. Mai 2014
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Erfreuliche Weltpremiere zum Gluck-Jahr
Zum 300. Geburtstag erscheint nun endlich die erste Gesamteinspielung einer der wichtigsten Gluckopern vor der Reform 1762. Die 10 Jahre zuvor für Neapel geschriebene „Clemenza di Tito“ stellt mit ihrem überbordenden Reichtum an Formen, Farben und Affekten einen absoluten Höhepunkt der Gattung Opera seria in ihrer Spätphase dar und so ist die Weltpremiere ein diskographisches Ereignis, zumal die sehr großzügig auf 4 CDs untergebrachte völlig ungekürzte Edition mit Einleitungstext und viersprachigem Libretto erfreulich der immer weiter grassierenden billigen Downloadpraxis trotzt.
Werner Erhardt konnte für die vier Hauptrollen erstrangige Kräfte verpflichten. Die beiden größten Rollen Sesto (1752 für den Kastraten Caffarelli geschrieben und derzeit stimmlich optimal nur von Franco Fagioli ausführbar, der aber leider für diese Produktion nicht gewonnen werden konnte) und Vitellia erfahren in ihrer Interpretation durch Raffaella Milanesi und Laura Aikin eine technisch und musikalisch ausgezeichnete Umsetzung. Rainer Trosts leicht baritonal gefärbter, sehr flexibel und individuell klingender Tenor eignet sich hervorragend für die Titelrolle. Das einmalig schöne Timbre von Valer Barna-Sabadus in der etwas kleineren, aber äußerst fein gestalteten Rolle des Annius erzielt die größtmögliche Wirkung und macht den erst 27 jährigen Sänger zum heimlichen Star dieser Einspielung.
Leider muss man bei der Servilia von Arantza Ezenarro aufgrund eines viel zu starken Tremolos und nicht immer 100% souveräner Koloraturtechnik deutliche Abstriche machen. Ein echter Ausreißer nach unten ist leider der Publio von Countertenor Ferri-Benedetti, der weder über die Höhe noch die Technik für diese nachrangige, aber trotzdem sehr anspruchsvolle Partie besitzt und teils sehr unschöne, schrille und manchmal sogar regelrecht falsche Töne von sich gibt.
Kritisch angemerkt werden sollte auch die mit nur 13 Streichern recht kleine Kernbesetzung des Ensembles, die den klaren Quellen über eine sehr viel größere Anzahl von Spielern am Teatro San Carlo klar zuwiderläuft und bei den Arien mit Blechbläsern keine optimale Balance gewährleistet. Hier wurde definitiv an der falschen Stelle gespart.
Alles in allem kann die Aufnahme aber in jedem Fall zum Kauf empfohlen werden, da die Kritikpunkte deutlich hinter den Vorzügen zurücktreten.