4 von 5
jommelli
Top 50 Rezensent
15. März 2022
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Eine großartige Entdeckung!
Johann Daniel Pucklitz dürfte selbst für hartgesottene Fans alter Musik ein weitgehend unbeschriebenes Blatt sein. Lediglich zwei sehr kurze, recht schöne, aber nicht sonderlich spektakuläre Kantaten wurden vor fünf Jahren in der „Musica baltica“-Serie von MDG durch das polnische Goldberg Baroque Ensemble veröffentlicht, das auch für die vorliegende Einspielung verantwortlich zeichnet.
Zugegebenermaßen hat mich der Beginn dieses knapp zweistündigen „Oratorio secondo“ mit einer langen, etwas konventionellen dreisätzigen Sinfonia im unverbindlich-galanten Stil und einem mit 10 Minuten Spielzeit schnell ermüdenden Choral nicht besonders überzeugt. Doch im Verlauf der sich um die Themen Tod und Auferstehung drehenden Komposition wird die Klangrede von Pucklitz immer interessanter. Viel Chromatik, teils unvorhersehbare Formverläufe in sehr langen, meistens aber nicht in Dacapoform konzipierten Arien und eine besonders in den vielen Chorälen mit J S. Bach durchaus auf gleicher Augenhöhe stehende Harmonik lässt rasch aufhorchen. Doch am Erstaunlichsten entwickelt sich die Instrumentation, die am Schluss sogar ein Paar Glasharfen sowie eine Harfe mit Saiten zur musikalischen Schilderung der Himmelsfreuden verlangt, womit das 1747 geschriebene Werk singulär im deutschsprachigen Bereich dastehen dürfte. Lediglich Händel hat zur selben Zeit in London mit vergleichbaren Klangfarben experimentiert. Doch auch die solistischen Partien für Naturtrompete, Traversflöte, Cembalo concertato und allerlei Streicherkombinationen sind eminent herausfordernd und beweisen nachdrücklich, auf welch hohem Niveau sich die Danziger Kirchenmusik um 1750 befunden haben dürfte.
Unter den vier deutschsprachigen Solisten ragt der makellose Tenor von G. Poplutz eindeutig hervor, die Timbres der anderen Singenden sind reine Geschmackssache, mich haben sie nicht völlig überzeugt. Der polnische Chor hat keine besonders anspruchsvollen Aufgaben, wodurch ein leichter osteuropäischer Akzent m.E. nicht besonders störend auffällt. (Was für ein Genuss wäre es allerdings, diese wertvolle Musik etwa vom Thomaner- oder Kreuzchor gesungen zu erleben!) Das Orchester verfügt über hervorragende Solisten, agiert insgesamt aber nicht ganz auf international erstrangiger Höhe. Wie schon bei der Aufnahme von 2016 lässt der stark überakustische Raum der Dreifaltigkeitskirche Danzig viele Details im Ungefähren. Vielleicht ist das Klangerlebnis beim Hören auf vier SACD-Lautsprechern günstiger (es liegen übrigens kostenlos zwei Scheiben bei, die auf normalen Hybridplayern nicht funktionieren), doch entzieht sich das meiner Kenntnis, da ich nur über zwei Boxen verfüge. In jedem Fall kann diese hochinteressante Neueinspielung jedem jenseits der großen Barockmusik-Namen Interessierten empfohlen werden- und bitte: Mehr von Pucklitz!