4 von 5
jommelli
Top 50 Rezensent
29. März 2016
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Empfehlenswert
Händels von der Nachwelt unverständlicherweise ziemlich vernachlässigte Oper Arminio (1737) erhält nun 15 Jahre nach der ersten und bislang einzigen Gesamtaufnahme unter Alan Curtis eine zweite Chance auf CD. Und das ist ein Glück, denn die alte Aufnahme hatte zwar in den drei Hauptrollen exzellente Sängerinnen, litt aber unter einem recht schwachen Orchester und einem schlechten Tenor. Bereits in den ersten Takten der Ouverture lässt G. Petrou seine fabelhafte „Armonia Atenea“ höchst engagiert und hochdramatisch aufspielen- und diese unter Hochspannung stehende Grundhaltung behält er im Wesentlichen bei, wobei man meinem Geschmack nach viele Tempi etwas weniger rasant, mache Akzente etwas weniger scharf hätte nehmen können. Was der oft temperamentlose Curtis zu wenig hatte, hat Petrou zu viel.
Das größte Plus der neuen Aufnahme ist M.E. Cencic in der für den Kastraten Annibali geschriebenen Titelrolle. Die nicht besonders hoch liegende, doch an entscheidenden Stellen spektakulär in die Sopranlage reichende Tessitura ist für Cencic`s sehr maskulines und höchst modulationsfähiges Organ wie geschaffen. Im Vergleich dazu wirkt V. Genaux bei Curtis relativ blass, die Bravourarie des dritten Aktes ist ein Höhepunkt zeitgenössischer Countertenor-Kunst! Layla Claire in der extrem umfangreichen und anspruchsvollen Rolle der Tusnelda ist eine ebenbürtige Partnerin. Leider bin ich mit der Partie des Sigismondo alles andere als glücklich. Der junge Koreaner Vince Yi verfügt zwar über eine blitzsaubere Intonation, stupende Höhe und makellose Koloraturtechnik, doch klingt sein merkwürdig knabenhaftes Timbre meist sehr stählern, künstlich und in der Höhe leicht schrill. Ein spitzzüngiger englischer Rezensent schrieb vom Klang eines „angry schoolboy“, was die Sache sehr gut trifft. Man vergleiche hier nur die makellose Dominique Labelle in der alten Curtis- Aufnahme. Es stellt sich also durchaus die Frage, ob eine Kastratenrolle immer mit einem Sopranisten besetzt werden muss, was klar zu verneinen ist, wenn man nicht gerade einen Fagioli oder Sabadus zur Verfügung hat.
Die kleineren Partien sind allesamt bestens besetzt, wobei mir besonders der kernige Tenor von J. Sancho in der Rolle des Römers Varo sehr gefallen hat.
Insgesamt ist die Neueinspielung auf jeden Fall wegen der großartigen Leistungen des Primarierpaares anschaffenswert, auch wenn ich insgesamt aus obengenannten Gründen nur vier Sterne vergeben kann.