Sehr gute CD-Transfers!
VORAB EIN HINWEIS: Die erste Charge der CD-Box war bei 4 CDs fehlerhaft produziert. Der Fehler sollte bei JPC-Auslieferungen aber nicht mehr auftreten, aber VORSICHT BEI KAUF VON PRIVATANBIETERN AUF ANDEREN SEITEN (zumindest den Verkäufer vorher fragen, ob es sich um die fehlerbereinigte Neuauflage handelt), wenn man keine Umtauschumstände haben möchte!
RICHTERS EURODISC-AUFNAHMEN
Wieder eine hervorragende Ausgabe durch Sony - diesmal der Sviatoslav Richter Einspielungen für das Label Eurodisc, welches später zur RCA / BMG gehörte und somit nun bei Sony gelandet ist.
Die Aufnahmen entstanden alle als Studio-Produktionen in Salzburg, Wien und München.
CD1+2 - Bach WK1
Oft wird Richter ein romantisches Bach-Bild nachgesagt. Natürlich ist Richter tendenziell kein 'nüchtern distanzierter' Pianist (was ja immer noch mit dem Wort 'modern' bezeichnet wird), natürlich spiel er Bach auf dem modernen Flügel und er achtet auch auf Klangfarben usw.
Aber Richter verwendet keine extremen Tempi (wie Gould), arbeitet nicht mit einer die Tempi beugender Agogik, ebenso gibt es keine anderen Tempo-Schwankungen. Dass auch für Bach die Musik Ausdruck von Gefühl ist, wird wohl keiner bezweifeln, der die Passionen des Meisters gehört hat.
Richter achtet auf Klangfarbe und -fülle, 'sein' Bach ist durchaus sehr expressiv, aber auch klar in der Struktur und dem Aufbau und er verliert nicht den Faden und die Kraft für das Ganze. Die Summe dieser Meriten können nicht allzu viele Pianisten aufweisen . . .
Der Klavierklang kommt im WK1 von natürlich bis leicht belegt rüber, es sind Verstärkungen der Frequenzen im Mittelbereich zu hören, die durch den gut Aufnahmeraum zustande kommen. Aber es handelt sich jedoch nicht um einen unangenehmen Hall, sondern macht den Eindruck eines Konzerts in einem eher kleiner dimensionierten Saal ohne Publikum - was ja auch genau die Aufnahmesituation beschreibt.
Die CDs 1 und 2 sind die einzigen, die vom Remastering her deutlich eine Spur zu viel des Guten an Rauschunterdrückung erfahren haben. Es sind sogar minimal Artefakte im oberen Frequenzspektum zu hören - aber alles bewegt sich im grade noch akzeptablen Rahmen. Wer WK1 bereits als CD-Box (mit mehr Band-Rauschen) hat - unbedingt vergleichen, was da mehr dem persönlichen Geschmack entspricht.
Alle anderen CDs sind - das sei vorneweg gesagt - perfekt remastert!
CD 3+4 - Bach WK2
Gegenüber dem WK1 ist der Klang präsenter und trockener, obwohl im selben Raum aufgenommen. Dieser fällt als 'akustischer Mantel' völlig weg. Dennoch klingt die Aufnahme nicht stumpf, eher im Forte etwas spitz und hart. Die Struktur und das kammermusikalisch 'Unkonzerthafte' kommt so noch mehr zum Tragen. Für mich ein schlüssiges Konzept, das ich mir auch für WK1 gewünscht hätte.
CD4 hat übrigens 81:30 min Spielzeit. Da hat man es mit der 12er-Einteilungs sehr genau genommen, denn die CD 3 ist mit knapp 67 min bespielt ist.
CD 5 - Beethoven (Variationen op.34, 76 und 35)
Seltsamerweise werde ich nicht ganz warm mit allen den Einspielungen der drei Variationswerke. Irgendwie scheint mir Richter stellenweise etwas 'sediert' . . . Aber angesichts dessen, dass es eh wenig gute Einspielungen dieser Werke gibt (mal von den Erioca-Variationen abgesehen), ist die Einspielung dennoch hörenswert.
Diese Einspielungen zeigen wieder ein Klangbild mit mehr Raumklang, ähnlich wie das WK1.
CD 6 - Beethoven (op. 90) + Schumann (Sinfonische Etüden)
Für meinen Geschmack optimal aufgenommen.
Sehr direkter Klang und dennoch mit der Blume des Raumklangs.
CD 7 - Schumann (Bunde Blätter) Brahms (aus op. 118)
Ein nicht zu versponnener aber sehr sensibler gesunder Schumann, ein unverzärtelter, kraftvoll zupackender Brahms und dennoch mit viel Raum für Feines. Alles ganz eloquent und natürlich.
Das Klangbild ist der CD 6 sehr ähnlich, also sehr gut und der Musik angemessen.
CD 8 - Rachmaninoff (Preludes)
Das Spiel von Richter ist bei dieser Rachmaninoff-Platte ganz grandios!
Der Klang der Aufnahme selbst ist ausgezeichnet.
CD 9 - Schubert Sonate c-moll und Impromptu As-Dur
Ausgezeichnete referenzhafte Einspielung der c-moll Sonate ('konventioneller' wie bei der B-Dur Sonate) und auch des Impromptu As-Dur.
Klavier ist tiefer im Raum zu hören, also in mittlerer Entfernung, aber noch nicht zu weit entfernt. Der unmittelbare kraftvolle Zugriff der Sonate auf den Hörer geht dadurch etwas verloren. Es treten zwar Raumreflexionen auf, die im Mittelbereich wieder etwas verunklarende Verstärkungen (Interferenzen) geben, aber dennoch ist kein wirklicher Hall zu hören. Vielleicht wurde der Raum ja abgedämpft. Kein optimaler Aufnahmeklang, aber durchaus passabel. Das Impromptu klingt übrigens deutlich präsenter und somit für mein Empfinden besser.
CD 10 - Schubert B-Dur Sonate
Wahrscheinlich DER 'Klassiker' der Richter Eurodisc-Aufnahmen, an dem sich immer noch die Geister scheiden. Immerhin benötigt er für den Kopfsatz 24:28 min, hält sich mit den restlichen Sätzen aber durchaus im üblichen Rahmen. Die Gesamtspielzeit beträgt 46: 32 min.
Die Tontechniker haben anscheinend leider während der Aufnahme mit der Mikro-Positionierung experimentiert. Der dritte Satz klingt deutlich halliger bzw. weiter entfernt als die anderen drei ausgezeichnet aufgenommenen Sätze.
ALS ANREGUNG:
Die Einspielung durch Michael Nuber aus meiner Eigenproduktion (JAW-Records) dauert 55:40 min mit einer Dauer des Kopfsatzes von 28:26 min. Es dreht sich dabei aber nicht um das Aufstellen von Langsamkeits-Rekorden, sondern um das Potenzial an Kontemplation und bleierne Zeitlupenstarre der Empfindung, die der Sonate (1ter, 2ter und - anders geartet - auch 4ter Satz) innewohnt. Das hat vor Schubert und auch danach bis in die zweite Hälfte des 20ten Jahrhunderts hinein kein Komponist gewagt.
CD 11 - Beethoven Sonaten Nr.3+4
Ein frischer lebendiger Beethoven auf solidem Fundament. Nichts ist übertrieben oder gewollt, alles ist klug disponiert und dennoch nicht 'abgezirkelt' mit großer dynamischer Bandbreite und eher entspannten Tempi. Ehrliches Musizieren ohne Extravaganzas.
Das Klangbild meinem Geschmack nach minimal zu hallig bzw. das Klavier etwas weit entfernt (aber keineswegs so 'schlimm' wie z.B. beim Beethoven mit Schiff) und erhält durch die Entfernung einen natürlichen, aber fast monauralen Höreindruck. Der Eindruck ist ähnlich dem WK1. Wohlgemerkt: das liegt an der Aufnahme selbst und nicht an dieser Ausgabe oder dem Remastering.
CD 12 - Chopin 4 Scherzi
CD 13 - Tschaikowsky (Die Jahreszeiten) Rachmaninoff (Etudes-Tableaux)
Stimmungsvoller Tschaikowsky (schade, dass Richter nur vier Nummern aus 'die Jahreszeiten' spielt!) und ein phantastischer Rachmaninoff! Wunderbare Stückauswahl und phantastisches Spiel mit Hervorhebung des Modernen (auch Wildem), Expressivem und Impressionistischem. Für Hörer, die Rachmaninoff nur von den Klavierkonzerten oder den paar vielgespielten Klavierstücken her kennen eine echte Entdeckung! In vielem stehe ich Richter nicht ganz so enthusiastisch gegenüber, aber dieser Rachmaninoff hat mich vollkommen überzeugt!
Natürlicher Aufnahmeklang mit nicht allzu großen Raumklanganteilen, was der Durchsichtigkeit besonders bei Rachmaninoff gut tut.
CD 14 - Tschaikowsky (Klavierstücke)
Wie Richter die doch kaum gespielten kleinen Klavierstücke Tschaikowskys adelt! Mir persönlich waren sie alle unbekannt und dennoch erkannte ich eines - aus 'Der Kuss der Fee' von Strawinsky.
Ein sehr natürliches und Räumliches Klangbild.
DIGITAL-TRANSFERS
Die Digitaltransfers sind so gut, dass die Unvollkommenheiten (mag natürlich Geschmackssache sein) mancher Aufnahmen endlich als solche wahrgenommen werden können und nicht dem Klang oder einem Mangel an Balancefähigkeit des Pianisten zugeschrieben werden.
Der Klang ist eher weich, aber so klar wie möglich, nicht eng, ausgezeichnet in der Farbwiedergabe und nicht verzerrt. Die Aufnahmen klangen nie so gut wie in dieser Ausgabe. Eine ausgezeichnete Arbeit des japanischen Remasterers Yukio Takahashi!
EDITION
Eine sehr ansprechende Aufmachung, wie sie mittlerweile bei den Sony-Boxen mit originalen LP-Zusammenstellungen mit originalen Covers und Rückseiten dankenswerterweise Gang und Gäbe ist.
Die Werke der 14 CDs sind im Textheft (mit 6 Seiten fundiertem Text auf Deutsch von Guido Fischer) ausführlich mit allen relevanten Daten über Aufnahme usw. aufgeführt.
Die CDs sind leicht aus den eher dünnen (aber dennoch stabilen) Papp-Hüllen zu nehmen, die Drucke der Covers sind perfekt. Die Box ist genügend stabil und eine wunderbare ergänzung zu der vorausgegangenen Sony-Box mit den RCA- und Columbia-Aufnahmen.
FAZIT:
Viereinhalb Sterne wäre die genaue Bewertung von mir wegen der kleinen bzw. mittleren Abstriche beim Remastering des WK1.
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Über ein Feedback (Kommentare) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!