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Gikra
19. Februar 2018
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Ein Schatz wird gehoben
Die harten Fakten vorweg: in dieser Box mit 50 CDs finden sich genau 9 Werke, die vorher noch niemals mit Gilels veröffentlicht wurden. Darunter „Harmonies du Soir“, eine Etüde von Liszt, die Gilels souverän herunterdonnert und dabei ein wenig die subtilen Feinheiten dieses Werkes überspielt (das gelang dann Richter). Freude allerdings über das „Konzert für die linke Hand“ von Ravel, das er selten gespielt hat, und das hier in einer Aufnahme aus dem Jahre 1952 vorliegt. Pastourelle und Capriccio von Poulenc sind kleine Miniaturen, denen Gilels Eleganz und Finesse gibt. Bachs „Chromatische Fantasie und Fuge“ von 1948 allerdings ist voller Ernst und Wucht und zeigt die ungeheure Kraft des jungen Pianisten. Warum die „Heroische Ballade“ des armenischen Komponisten Babadzhanian veröffentlicht werden musste, ist nicht ganz einzusehen - Gilels spielt zwar mit seinem großen und vielfarbigen Klavierton, der allerdings die auftrumpfende Hohlheit dieser Auftragsproduktion des Regimes nicht überspielen kann. Alle anderen Aufnahmen in der Box sind im Repertoire seiner Diskografie bereits vorhanden. Das Einmalige ist jedoch, dass Melodiya das Archiv von Gosteleradio geöffnet hat und nun zum Teil wirklich aufregende Konzerte den bereits bekannten Werken hinzugefügt werden. Wer hätte es noch vor wenigen Jahren geglaubt? So finden sich alleine fünf verschiedene Versionen von Gilels‘ Bravourstück, der h-moll Sonate von Liszt, in dieser Box. So lässt sich über die Spanne von 17 Jahren verfolgen, wie aus der „wilden“ Interpretation von 1948 jene „gereiftere“ Aufnahme von 1965 werden konnte. Seine „Pranke“, sein blitzsauberes Passagenwerk auf dem Höhepunkt der Sonate muss man gehört haben, um es zu glauben. Schwer, sich für eine Version zu entscheiden - wobei die live-Aufnahmen unerhört faszinieren. Gilels neigte dazu, im Studio allzu abgezirkelt und vorsichtig zu spielen. Das war im Konzertsaal anders - daher die Bedeutung dieser Veröffentlichung. Unnachahmlich die ersten Töne der As-dur Sonate von Weber, die aus unergründlicher Tiefe heraufzusteigen scheinen. Die seltene Studioaufnahme des Tschaikowsky Klavierkonzertes von 1951 zeigt, mit welcher kristallinen Klarheit Gilels das furiose Passagenwerk in dem Stück beherrscht. Die Box ist außergewöhnlich aufwendig hergestellt und sehr hochwertig verarbeitet und in den Informationen über die Aufnahmen zuverlässig. Ein Booklet gibt einen Einblick in das schwierige Leben eines großen Pianisten in einem rigiden politischen System. So bleibt ein zwiespältiger Eindruck - wenig „Neues“, viel Altbewährtes und trotzdem eine Box, die in das Regal jedes Klavierenthusiasten gehört.