5 von 5
Musaion
Top 100 Rezensent
20. Juli 2022
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Sommernachtstraum
Es gibt auch positive Überraschungen - hier liegt eine besonders erfreuliche vor.
Gatti hat ein sehr gutes Tristan-und-Isolde-Dirigat abgeliefert und ein gutes beim Parsifal und deshalb war ich gespannt, wie ihm die Meistersinger gelungen sind und tatsächlich kann er auch hier überzeugen: differenziert und gut durchhörbar. Vielleicht sollte er manchmal etwas zupackender und dramatischer agieren, andererseits ist er sehr sängerfreundlich und trägt sie durch ihre Partien.
Sehr positiv ist die Sängerriege zu bewerten: Michael Volle ist glänzend bei Stimme und kann sowohl in den lyrischen Passagen mit feinem, subtilem Piano-Gesang und schöner Phrasierung überzeugen, als auch in den dramatischeren Passagen stimmlich auftrumpfen (Jerum - Jerum). Tatkräftig und agil überzeugt er als Schauspieler gleichfalls. Bei der 4 Jahre späteren Aufnahme aus Bayreuth unter Jordan erreicht er dieses hohe Niveau stimmlich nicht mehr.
Nächste positive Überraschung ist Roberto Saccà als Stolzing: sehr idiomatisch und textdeutlich, mit strahlender Höhe, feiner Phrasierung und weiten Legato-Bögen - (seit Botha) endlich ein exzellenter Rollenvertreter, der auch darstellerisch überzeugt. Ein Vergleich zu Vogt 2017 in Bayreuth erübrigt sich, da dieser alles mögliche, aber kein (Wagner-)Tenor ist. Insgesamt sängerisch, darstellerisch und optisch vielleicht der beste Stolzing, der auf DVD/BR vorliegt.
Abgerundet wird die Sängerriege von der sehr schön und ausdrucksvoll singenden Anna Gabler als voll überzeugender Eva, Zeppenfeld als eindrucksvollem, schlank gesungenem Pogner und Markus Werba als Beckmesser, der stimmlich wie darstellerisch sehr gut ist.
Die Inszenierung präsentiert das Werk als "Sommernachtstraum" und mit diesem Ansatz lässt sich natürlich jeder Firlefanz und alberne Mummenschanz rechtfertigen, dessen Sinnhaftigkeit zwar fraglich, aber immerhin unterhaltsamer und komödiantischer ist als der absurde, pervertierte Unsinn, den Kosky in Bayreuth 2017 meinte auf die Bühne stellen zu müssen und damit den Werkcharakter grundsätzlich verfehlte. Immerhin bietet Herheim mit dem grundsätzlich im romantischen/biedermeierlichen Stil gehaltene "Design" der Kostüme eine akzeptable Ausstattung der Figuren, die z. B. Stolzing anfangs als Burschenschaftler zeigt und damit seinen rittlich-ungestümen Charakterzug durchaus wiedergibt.
Fazit: Musikalisch ein großer Gewinn für die Discographie, inszenatorisch Geschmackssache.
Bemerkens- und sammelwert wird die Aufzeichnung durch die Leistungen Volles, der hier seine Chance, als sehr bedeutender Rollenvertreter des Sachs dokumentiert zu werden, ebenso glücklich nutzen konnte, wie Saccà, Gabler oder Werba. Volles Soloalben sind hervorragend, bei den Operngesamtaufnahmen hatte er leider oft Pech, dass ihm andere Interpreten vorgezogen wurden oder er in "schwacher Gesellschaft" war. Diese Aufnahme entschädigt für vieles und wird Bestand haben.