3 von 5
Anonym
05. Januar 2016
Gesamteindruck:
3,0 von 5
Künstlerische Qualität:
3,0 von 5
Repertoirewert:
2,0 von 5
Zwei neue Entführungen
Ich habe mir bisher zum Hörvergleich 3 bei JPC neuerworbene Entführungen nur in Ausschnitten vorgenommen:
1.den alten ORF-Mitschnitt vom ORF von den Salzburger Festspielen aus dem Jahr 1955 unter Szell
2.die nach den Baden-Badener Aufführungen entstandene Aufnahme von Anfang 2015 unter Nezet-Seguin
3.die kürzlich veröffentlichte Neuaufnahme unter René Jacobs
Die letzten beiden enthalten - vermutlich auf die neue Mozart-Ausgabe bezugnehmend- einige musikalische Erweiterungen und damit einiges mehr an Noten, als wir es aus den konventionellen Aufnahmen aus den 50-er bis 90-er Jahren kennen, Harnoncourt und Mackerras ausgenommen.
Zum direkten Vergleich mit diesen alten Aufnahmen fehlte mir die Zeit, als Referenzaufnahme habe ich aber immer noch die Beecham-Aufnahme mit Lois Marshall und Leopold Simoneau aus den 50-er Jahren-und bereits stereophon aufgenommen in bester Erinnerung.
Für mich stellt die Salzburger Aufnahme unter Szell die an wenigsten interessanteste Produktion dar, zumal hier die Erkenntnisse der aktuellen Musikforschung der letzen 45 50 Jahre noch gar nicht einfließen können. Das heißt hier finden sich weder Verzierungen noch Appogiaturen, wie wir sie noch aus der Zeit der frühen Trichteraufnahmen (zB. Lilly Lehmann, Charles Santley, Fernando di Lucia) kennen oder wie sie Richard Bonynge in seiner unterschätzten und von der damaligen Musikkritik verrissenen Don Giovanni-Aufname Anfang der 70-er Jahre wiederbelebt hat.
Die beiden neuen Aufnahmen folgen natürlich diesem alten Stil, der eine (Nezet) vermutlich weil es en vogue ist, der andere (Jacobs) weil es ihm als das Selbstverständliche in Fleisch und Blut übergegangen ist und gar nicht anders sein kann.
Dementsprechend hören wir bei Nezet-Seguin ein klassisches Sinfonie-Orchester, bei Jacobs ein Ensemble für alte Musik auf historischen Instrumenten. Ein möglicherweise historisch begründbares Hammerklavier war für mich bei Jacobs als eigenständiger improvisiernder Partner zu erwarten, bei Nezet-Seguin als Continuo eingesetzt eher überraschend, aber sympathisch.
Während der in der Aufführungspraxis geschulte Hörer bei Nezet-Seguin einerseits dann doch an einigen sinnhaften Stellen die Appogiaturen, an anderen die Fiorituren vermißt, scheinen mir bei Jacobs andererseits manche Verzierungen zwar richtig plaziert aber ein wenig zu „gewollt“ anders und aufgesetzt zu sein, Appogiaturen dagegen hätte ich mir als Leie auch öfter vorstellen können.
Zum Ensemble-Vergleich gilt, daß der Satz früher sei alles besser gewesen („die Krise der Gesangskunst“) schlicht falsch ist. Wenn damals in Salzburg die Besten ihrer Zeit gesungen haben sollten (man hätte damals vielleicht noch eine zweite qualitativ vergleichbare Sänger-Crew aufbieten können), so ist die Qualität der derzeitigenSänger „auf dem Markt“ so groß, daß eine ebenso gute sängerische Qualität vielfach möglich gewesen wäre. Deswegen hier auch keine eingehende Einzelkritik, sondern nur ein paar Anmerkungen.
Natürlich ist die „geläufige Gurgel“ der Erika Köth den anderen beiden Konstanzen überlegen; aber ist sie auch die richtige Besetzung? Dann lieber doch Damrau bei Nezet. Anna Prohaska ist Spitze,
Stimmlich überraschend gut erholt singt Villazon den Belmonte trotz der bekannten Artikulationsprobleme eines Südländers mit Agilität und wunderbarer Musikalität und meistert auch die „Baumeister-Arie“, die bei dem ebenfalls stimmschönen Rudolf Schock nur in vereinfachter Version vorgestellt werden konnte . Da fällt es mir schon schwer, dem idiomatischeren Maximilian Schmitt doch noch knapp den Vorzug vor Villazon zu geben, umgekehrt ziehe ich aber den jungen Russen Dimitry Ivashchenko dem erfahrenen aber auch guten Franz-Josef Selig vor. Beide singen das tiefe „D“ in „Ho wie will ich triumphieren“ auf dem Wort Ruh und nicht wie üblich zu dem Wort“Euch“ oder „dann“. Der indiskutable Kurt Böhme schafft wie später auch in der Studio Aufnahme unter Jochum -nicht einmal das. Aber bei dem Russen hört man ein „U“, bei dem Deutschen eher ein „O“.
Viel könnte man noch Schreiben, aber zusammen gefaßt: Jacobs sollte man kaufen, Nazet-Segun möchte ich als guten Kontrast nicht missen, Szell ist sicher gegen andere historische Mitschnitte austauschbar.