5 von 5
HL
04. März 2019
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Für den sinfonischen Feinschmecker
Die CD-Box enthält wichtige Orchesterwerke Wilhelm Stenhammars in durchweg guten bis sehr guten Einspielungen. Leider fehlt die Serenade op. 31, die zu Stenhammars populästen Werken zählt. Bei den beiden Sinfonien handelt es sich jeweils um Live-Aufnahmen der frühen 1980er Jahre mit den Göteborger Sinfonikern unter Neeme Järvi. Die Ende 1903 mit Erfolg uraufgeführte 1. Sinfonie zog Stenhammar wieder zurück. Er bescheinigte diesem Werk, das er Jean Sibelius widmen wollte, dies aber nicht verwirklichte, zu wenig Tiefe. Diese selbstkritische Einschätzung überrascht, da das überaus lyrische Werk bei intensiverer Befassung eine Vielfalt melodischer und klanglicher Reize hat. Stilistisch ist das Werk der frühen, vor allem von Brahms (besondes auffällig beim lyrischen Charakter der Scherzi in Brahms 3. Sinfonie und hier in Stenhammars 1. Sinfonie) und Bruckner (einige Bläserpassagen im 1. und 4. Satz) beeinflussten Schaffensperiode zuzuordnen. Järvi nimmt recht zügige Tempi, was dem Werk sehr gut tut. So kommt Järvi insgesamt auf gut 52 Minuten Spieldauer, während Andrew Manze mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra (in einer Live-Aufnahme vom März 2014, leider nicht als CD erhältlich) auf etwa 58 Minuten reine Spielzeit kommt. Die strafferen Tempi nützen vor allem dem 2. Satz. Er zieht sich bei Manze mit 13 Minuten doch ziemlich dahin (Järvi benötigt hier lediglich 10:30 Minuten). Allerdings bietet Manze in den beiden Ecksätzen mehr Liebe zu den Details. Das betrifft vor allem die Blechbläserpassagen. Da die Stockholmer Blechbläser (vor allem die Hörner) diese nicht nur glänzend meistern, sondern regelrecht zelebrieren, fällt die Interpretation Manzes in den Ecksätzen insgesamt ansprechender aus. Dafür muss man aber auch mehr Geduld aufbrigen und sich über die ein oder andere Länge durchhören. Letztlich haben beide Einspielungen ihre Stärken.
Stenhammars 2. Sinfonie ist sicherlich das Hauptwerk des Komponisten. Auch hier wählt Järvi zügige Tempi, allerdings fällt der Unterschied zu anderen Einspielungen geringer aus als bei der 1. Sinfonie. So kommt Herbert Blomstedt (ebenfalls mit den Göteborger Sinfonikern), der das Werk mit 87 Jahren erstmals aufführte, auf gut 45 Minunten, Järvi auf 42. Die 2. Sinfonie ist packender und lebhafter als die 1. Sinfonie, die Harmonik und Satzstrukturen sind in der 2. Sinfonie spezifischer. Das Werk wird von Järvi packend präsentiert, die Interpretation muss den Vergleich mit der neueren Blomstedt-Einspielung nicht scheuen. Für Blomstedt spricht vielleicht die ausgeprägtere Liebe zu Details und die nüchterne, überaus vornehme Darstellung des Werks. Stenhammar wollte ja bewusst keinen Pomp (er sprach von nüchterner und ehrlicher Musik ohne Klangschwelgerei), was ja auch in der Orchestrierung spürbar wird. Dafür geht Järvis bisweilen energischerer Zugriff im Kopfsatz des Werkes mehr unter die Haut.
Die Box enthält auch Stenhammars Klavierkonzerte in guten Studio-Einspielungen der späten 1980er und frühen 1990er Jahre. Das 1. Klavierkonzert ist für meinen Geschmack eines der schönsten Klavierkonzerte der Spätromantik. Auch hier sind Einflüsse der Vorbilder (Brahms und Saint-Saens) unüberhörbar, ohne dass es dem Werk an einer ganz eigenen Charakteristik und Tonsprache mangelt. Als Referenzeinspielung des 1. Klavierkonzerts würde ich allerdings die Aufnahme mit Sivelöv und Venzago vorziehen, die vom Malmöer Sinfonieorchester begleitet werden. Neben diesen großen Werken sind noch einige kleinere Stücke zu hören. Besonders zu empfehlen ist die Rhapsodie "Midvinter" op. 24 für Chor und Orchester. Das Werk besticht melodisch wie dramaturgisch.
Das Klangbild der CD-Box ist sehr gut. Die Aufnahmen sind durchweg transparent, das Klangbild sehr natürlich. Die dynamische Spannbreite ist sehr groß. Für meinen Geschmack hätte es hier ein bisschen weniger sein können. Daher ziehe ich beim Klangbild einen Punkt ab. Insgesamt bietet die CD-Box ein nicht zu toppendes Preis-Leistungsverhältnis, das Klassikfans dazu einlädt, sich auf Entdeckungsreise zu begehen. Eine Begegnung mit Wilhelm Stenhammar lohnt sich sehr.