Der rote Ariadne-Faden durch ein Wechselbad der Gefühle
Ich finde es gerade notwendig mit meiner kleinen neuen Rezension zu dieser Strauss-CD von Christiane Karg eine andere Bemerkung von mir zu ihr wieder gut zu machen. Ich hielt nichts von dieser, wie ich sagte, "Friedhofs-CD mit Strauss" (Ein Komponist, der ja eigentlich zum Eros neigt). Ich empfing aber vor kurzer Zeit eine überraschende Anregung, die mich zu einer unerwarteten neuen Ansicht geführt hat.
Herzvoll goldene Bögen
Ersteinmal ist es die Interpretation der Strauss-Lieder durch Frau Karg, die ich mittlerweile eher besonnen und souverän finde, alles andere als ein Ausrutscher am falschen Ort. So geistvoll gespielt halte ich die Auswahl der Lieder nun doch mittlerweile für selbstverständlich passend.
Zum anderen hat die Interpretationskunst von Christiane Karg vor dieser CD eine bemerkenswerte Vorgeschichte, die man eigentlich mit einigen CD`s und DVD`s veröffentlichen könnte.
Da fällt mir neben einigen Opern u.a das Lieder-Konzert aus Frankreich auf, von dem einiges derzeit auf youtube zu sehen ist (oder ihre Sicht auf Mahlers Vierte). Sie hat es hier geschafft, wie eine der ganz großen deutschen Diven der Vergangenheit mit viel Herz und Geist einige der üppigsten und ausladensten geistigen Bögen über die Musik zu spannen, die mir je begenet sind. Das wirkt schon häufig mütterlich beschützend auf so herzliche Art, dass ich mich nur wundern kann. Offenbar soll ihr ähnliches als Strauss`Sophie in Mehtas Aufnahme in Mailand gelungen sein sowie in anderweitigen Produktionen. Da frage ich mich ernsthaft: wieso nur haben diese schönen Dinge nicht den Weg zur Veröffentlichung geschafft??
Ich meine, da hat man geschlafen. Immer wieder gehe ich fasziniert auf die wenigen Video-Seiten, um mir das zu verdeutlichen.
Mittlerweile hatte die Sängerin den Weg weg von eine mütterlichen Frauenfigur zu einen etwas "mädchenhafteren" Ton gefunden, und selbst damit hat sie z. B. Schumann`s "Frauenliebe und Leben" überlegen weiblich beherrscht. Mir persönlich ist die reifere Variante von 2010- 2014 lieber und großartiger. Was hatte sie nur zu diesem Wechsel bewegt?
Launenhaftes Wechselbad der Gefühle wie ein Cappriccio
Ein Cappriccio ist ein Stück mit wechselhaften Stimmungen.
Eine besondere Fähigkeit von Frau Karg ist ihr häufiger Identitätswechsel. Das ist natürlich eine Herausforderung, aber oft auch leichter nachvollziehbar. Aber es ist natürlich gefährlich, extreme Widersprüche nicht zu scheuen und das kann einen Musikfan verunsichern. Vor allem wenn sie kapriziös launenhaft wechselnd sein können. Jedenfalls sind Wechselbäder von der Nymphe Calisto zu Palestrinas Ighino und Figaros Susanne zu Donizettis Norina in Don Pasquale eine enorme Bandbreite.
Heute der Vamp und morgen der Engel ist natürlich sehr viel, aber ich meine doch allmählich zu verstehen, dass bei dieser Sägerin eigentlich das zuverlässigere Prinzip dominieren will.
Die unergründliche Frau
Um zu verdeutlichen, was "launenhafte Charaktervielfalt" bedeuten kann, und wie an solchen kapriziösen Dauerwechseln richtig Freude gewinnen kann, ist mir immer folgende Opernbeispiele die liebsten:
Natürlich sind Frauengestalten der Oper mit wechselhaften Gemütern sowieso immer ein Reißer, etwa Wagners Kundry, Strauss Salome und Elektra, Schrekers Charlotta. Oder auch Schillings Mona Lisa. Genau diese Oper von Schillings hat es mir angetan, mit Bezug auf die Charaktervielfalt vieler Sänger, denn hier ist es zum erstenmal umgekehrt eine "Frau der Kirche", die an einem Peiniger zu "teuflischer Rache" greift. Schillings und seine Libretto-Autorin haben dort aus verschiedenen Da Vinci-Bildern eine Geschichte um die beiden gegesätzlichen Frauen Ginevra und Mona Lisa nachempfunden, die scheinbar von der damaligen Zeit bis auf die heutige aktuell geblieben ist: Ein junger einsamer Priester der Gegenwart empfängt ein Paar, um diesem die Geschichte des Palast des Francesco Giocondo von 1492 vorzustellen. Im Verlauf der "erzählten Handlung" erleben wir, wie der Priester einst als Priester Giovanni die kirchentreue Frau des Hauses, Mona Lisa, aufsuchte, um seine alte ewige Liebe zu ihr zu erneuern. Ihr Mann Francesco, der sie nur als eine Art "It-Girl" seiner Perlensucht benutzt und lieber mit der obszönen Ginevra und Gästen den Florenzer Karneval feiert, wird diesen Konkurrenten töten, um dann selber von seiner Frau in "teuflischer Rache" geopfert zu werden. Es folgt das "jüngste Gericht". Die Geschichte endet wieder in der Gegenwart, der junge Priester entlässt das Paar, die Frau gibt ihm Geld, um eine Messe für die "arme Mona Lisa" zu lesen, und der Priester fragt sich, wer nur diese Frau war:
"Wer bist du, Eva
Magdalena, Bath-Seba, Versucherin...
Mona Lisa, Mona Lisa, Mona Lisa!"
Abgründe, die zu einer Verteufelung führen, oder zum Gegenteil?
Schillings schrieb diese Oper, als Pfitzner an seinem Palestrina arbeitet, worin die durch den Tod verbannte Ehefrau Lukrezia den Komponisten fern-geistig tröstet. Ich weiß, dass sich beide Komponisten damals in Briefen über ihre Arbeitsfortschritte gegenseitig austauschten. Beide Werke haben eine ähnliche Aura des Abgründigen und des sicheren Wegs von dort zum Sicheren.
Eine andere wäre die Ariadne-Oper von Tovey: wie bei Schillings ist hier die weibliche Hauptrolle in der Hand des Dionisos, der sie dem Theseus gestohlen hat, der sie wiederum als Jungfrau vor dem Monster Minotaurus rettete. Ein denkbares Sujet wäre ein Werk über die Rache der Ariadne an Theseus, weil dieser sie verließ und auf Naxos zurück ließ, nicht ahnend, dass er dies nur unwillig voller Trauer tat usw.. Oder Hartmann von Aues (und somit auch Pfitzners) "Armer Heinrich, bei dem eine Jungfrau sich nackt für den besten deutschen Helden opfern will, am Ende aber wegen dessen Verzicht seine Heilung miterlebt und ihn mit Anmut und Keuschheit sogar heiratet (in der Version von Aue).
Abgünde und ihre Erklärungen sind nichts ungewöhnliches, es ist leider schwierig die genauen Intentionen der Autoren hinter diesen Geschichten zu ergründen.
Interessant finde ich, dass nun Christiane Karg einen ähnlichen Repertoireweg beschreitet, der zu spannenden Gegensätzen führt, und eigentlich wäre sie mit ihrem wechselhaften Temperament eine ideale Interpretin von Rollen dieser Art. Widersprüche können zwar unangenehm missverstanden werden, aber die Schule des Lebens zeigt auch mir zu meiner Überraschung immer wieder, dass oft weit mehr kontinuierliche Identität dahintersteckt, als man zunächst annimmt.
Insgesamt möchte ich also anmerken, dass mir die gut orientierte Auswahl der Strausslieder zu einem religiösem Thema mittlerweile wesentlich besser gefällt. Vieles, was mir früher "tölpelhaft" erschien, erklingt hier plötzlich wie auf sicheren Boden gesetzt, es wirkt einfach solider, was bei dem extatischen Elan der Strauss-Musik nicht immer selbstverständlich sein muß. Das ist schon ein "sicherer Umgang" mit dieser Thematik.
Heute würde ich das schön bebilderte Album empfehlen.