5 von 5
KlpB
Top 100 Rezensent
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Alter:
55 bis 65
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Geschlecht:
Männlich:
15. April 2012
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Fast in allen Teilen herausragend
Pech, daß ich erst die weniger herausragenden Teile dieser Gesamteinspielung zu Gehör bekam und lange abwartete, bis ich mir dann doch alle Quartette mit dem Buchberger-Quartett zulegte. Von den frühen Serien ist mir die Opus-9er-Reihe zu zahm und dünn gespielt (absichtlich oder weil das eine der frühesten Einspielungen und die Interpreten noch nicht richtig "drin" waren?). Da bevorzuge ich, ungeachtet des schwiemeligen Vibratos des Primarius, die "romantische" Aufnahme des Tatrai-Quartetts. Opus 33 leidet wie in den meisten Konkurrenzaufnahmen (rühmlich anders: das Quatuor mosaiques) unter zu raschen Tempi und einer Tendenz zu diskantig spitzem Klang - als hätte das kein gestandener Mann, sondern ein Jugendlicher komponiert oder ein Mann im Korsett.
Aber es gibt mehrere Reihen, da jagt geradezu eine Perle die andere, ein Höhepunkt den nächsten. Das Buchberger-Quartett nutzt sowohl den großen Klang und dynamischen Radius moderner Instrumente als auch die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis. Daß diese lange, lange Bögen und packende agitatorische Sechzehntelketten nicht behindern muß, sondern sogar unterstützen kann, erlebt man aufs eindrucksvollste. Das Ensemble spielt sie nicht nur prall genußvoll aus, sondern bereitet sie auch durch kleine Verhaltungen spannungssteigernd vor.
Es sind Musiker am Werk, die in übergeordneten Strukturen denken. Analog Haydns, wie der Primarius schreibt, draufgängerischem Temperament springen sie den Hörer mit einem meistens impulsiven Vortragsstil an. Von vornehmer Zurückhaltung (bis auf besagtes Opus 9) und unangebrachtem Zurücktreten der angeblichen Nebenstimmen keine Spur. Die Partituren ließen sich beim Hören nahezu mitschreiben.
Etliche Werke erlebt man auf der Grundlage bereinigter, originalgetreuer Notentexte neu. Ungewohnte Stricharten und Klangfarben und eine frei strömende übergangsreiche Dynamik mit sattem Forte machen die Gesamteinspielung zu einer lustvollen Angelegenheit.
Zu den Glanzpunkten würde ich die Zyklen Op. 17 und fast alle Werke ab Op. 50 zählen, wobei jedoch das etwas frugal und überabsichtsvoll flüssig präsentierte Adagio des berühmten Kaiserquartetts op.76/III etwas abfällt und das Prestofinale irgendwie nicht richtig in die Gänge kommt. Opera 71/IV und 74 insgesamt erlebte ich nirgendwo bisher so durchgestaltet und reichhaltig. (Beim kurzangebundenen Op. 71/II wünschte ich mir einmal ein Ensemble, das Mut hätte, bei Kopfsatz und Scherzo/Menuett einen Gang herunterzuschalten.) Endlich kommt auch die berühmte, meistens aber analog Opus 33 unterbelichtete Opus 64er-Serie zu Blüte und Entfaltung.
In Anbetracht des Schadens, den andere Labels durch den nicht unterbietbaren Preis der Kassette erleiden, darf man fast keine Empfehlung formulieren. Interpretatorisch und klanglich steht das Resultat aber so hoch, daß man es umgekehrt als einen sozialen Akt der brilliant classics werten darf, minderbetuchte Interessierte an eine gültige Darstellung eines der Höhepunkte aller Streichquartettliteratur heranzuführen.