5 von 5
Alto
Top 100 Rezensent
29. April 2013
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Spannend
Neue Einspielungen bringen nicht immer neue Hörerfahrungen, und neue Hörerfahrungen müssen einen dann auch nicht zwingend überzeugen. Frau Fausts Aufnahme des Brahms-Violinkonzerts trifft auf einen gesättigten Markt, sicher. Auch die ungewöhnliche, aber sehr organisch ins Werk eingearbeitete Busoni-Kadenz im ersten Satz kann man andernorts hören, zuletzt von Frau Bathiashvilli. Trotzdem - mich nimmt diese Interpretation hier für sich ein.
Frau Faust spielt - nun ja, das kann man natürlich erwarten - extrem sicher und sauber, die Stärken ihrer schlanken, dynamisch sehr flexiblen Tongebung mit einem dezent und gezielt eingesetzten Vibrato kann sie für meine Ohren vor allem in den delikat-innigen Passagen ausspielen. Das Auftrumpfen mag ihr weniger liegen, dennoch packt ihr Ansatz mich z. B. auch im letzten Satz von Op. 77, reißt mich wirklich mit, nicht zuletzt wegen des enormen Tempos, das wir schon aus Aufnahmen etwa mit Heifetz oder Kremer kennen und das Frau Faust in ihrem Beitrag im schön gestalteten und informativen Beiheft mit den Metronomangaben von Joseph Joachim rechtfertigt.
Das Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding ist ein Partner, der diesen Ansatz ideal unterstützt. Man kann die Stimmen wunderbar durchhören, das wird nach meinem Höreindruck auch in Tutti-Passagen eben nie zum "Orchesterbrei".
Für mich ist die Aufnahmetechnik dabei herausragend gut; die Instrumente klingen präsent und natürlich, Dynamik und Frequenzspektrum sind sehr befriedigend. Das Brahms-Konzert mag grundsätzlich auch einen satteren Orchesterklang vertragen, aber der hier verfolgte Ansatz ist für mich mindestens ebenso überzeugend.
Trotz Heifetz, trotz Oistrach, trotz Kremer ist diese neue Einspielung für mich ein wirklicher Gewinn.
Die "Dreingabe", das ebenso lange 2. Streichsextett, ist wunderbare Kammermusik, die in ihrer komplexen Rhythmik und Kontrapunktik wirklich nicht einfach zu spielen ist, hier aber extrem differenziert, spannend und dynamisch vorgetragen wird und von der es gar nicht mal so viele hochrangige Einspielungen gibt.
Alles in allem eine der interessantesten Platten mit Johannes Brahms' Violinkonzert in der letzten Zeit.