5 von 5
Anonym
01. Juli 2016
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Brahms Erste als Vorläufer moderner Sinfonien
Brahms Erste ist sicher ein Hauptwerk der Sinfonik und seine Zeitgenossen bezeichneten sie damals anerkennend als „Beethovens Zehnte“. Simone Young widmete sich diesem Werk nun im entsprechenden Umfang und was dabei herauskam, dürfte die vielleicht beste Interpretation dieser Sinfonie sein. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass Simone Young das schleppende Eingangsthema und generell die weitere dramatische Entwicklung der Sinfonie extrem monumental und großräumig auffasst. Ich meine, das ist genau richtig; man muss das klagende Thema des Beginns schon deswegen so langsam spielen, weil es sich damit besser ausbreiten und hörbar machen kann, da es danach nur noch in verringerter Form wiederkehrt. Hätte Brahms diese Passage 8-10x wiederholt, im gleichen Ausmaß, wäre es schon möglich, das ganze schneller zu spielen, so wie es oft gemacht wurde. Aber diese langsam tragische Ausbreitung bei Young ist vielfach besser, prägt sich gut ein und hinterlässt bleibenden Eindruck. Hiermit ist sie nicht allein: Spitzendirigenten wie Kurt Sanderling und Evgeny Svetlanov fassten das genauso auf. Mit dieser extremen Ausbreitung der Ausmalung wird auch wesentlich klarer, dass Brahms kein trockener Akademiker war, sondern ein musikalischer „Naturmaler“ , im Gefolge Beethovens und seiner Natursinfonie Sinfonie Nr. 6 „Pastorale“.
Deftige Farben und organische Zustände bei Young befreien das Werk auch aus trockenen Akademismus. Intellekt und Natur, Poesie und Kultur finden so eine bessere Einheit. Und obendrein entspannt sich ein moderneres Drama, der Zeit entsprechend. Wie gesagt: es gibt noch mehrere Interpretationen dieser Art, nicht nur der großartige Svetlanov und Sanderling, auch bei Abbado und Karajan sowie Jun Merkl finden wir ähnliches.
Simone Young gehört zweifelsfrei zu einer neuen Dirigentenelite, die eine moderne romantische Dramatik mit Intellekt und Poesie verknüpfen. Ich denke da an Nezet-Seguin, Andris Nelsons, Daniel Harding, Gergiev, Thielemann, Barenboim, Zweden etc..
Darum: mindestens maximale Punktzahl!
(Im übrigen gibt es eine Einspielung von Berlioz Symphony Fantastique op. 14a mit Nezet-Seguin, die eine frappierende Ähnlichkeit zu Brahms Erster herstellt, im Sinne von Tragik, Lebenskampf, deftigem Spuk, und auch Suchen und Finden von Reinheit, Glück. Der Brahms der Ersten und Der Berlioz von Fausts Verdammnis sind sich hier nicht so fern)
urantik, a.o.anck