5 von 5
opera
Top 25 Rezensent
05. Oktober 2012
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Netrebko und Bezcala in exzellenten Rollenporträts in realistischer "Tristesse" Inszenierung
Diese Inszenierung wurde kürzlich im Fernsehen von den Salzburger Festspielen 2012 übertragen.
Das Inszenierungskonzept von Damiano Michieletto bewegt sich optisch weit ab von der gängigen, romantisierten Boheme Atmosphäre im Paris des 19. Jahrhunderts.
Die optische Verlagerung in eine Art "Clochard"-Unterbrücken-Milieu ist denn auch für diejenigen, die eine fixierte optische Vorstellung haben, nicht zwingend kompatibel. Milieumäßig wird die Handlung in eine Jetztzeit-Ebene mit der Tristesse sozialer Randgruppen verlagert. Das wirkt teilweise krass und auf einige provozierend, aber von der assoziierten Ebene durchaus nachvollziehbar und verleiht dem Ganzen den Stellenwert eines realistischen Gegenentwurfs zur tendenziell sentimentalen Kitschebene.
Mit glänzender Personenregie und glänzenden Sänger-Darstellern gelingt so ein beklemmend hautnahes Musiktheater.
Piotr Bezcala überzeugt als Rudolfo mit souveräner und höhensicherer Gestaltung. Exzellent Anna Netrebko mit einer wahrlich hautnahen Verkörperung der Mimi. Nino Machaidze ist die überzeugende Musetta.
Den Schaunard singt Alessio Arduini, den Colline Carlo Colombara, den Marcello Massimo Cavaletti. Auch sie überzeugen neben dem Sängerischen durch enorme darstellerische Präsenz.
Insgesamt eine außergewöhnliche Aufführung der Spitzenklasse mit beklemmenden Bildsequenzen, die man allerdings rein vom Optischen keinesfalls dem traditionsorientierten Seher empfehlen kann. Wer eine herausragende, optisch romantische Inszenierung sehen möchte, sollte besser zur neuen Boheme am Royal Opera House London greifen mit Roberto Ilincai und Hibia Gerzmanova in der historisierenden Inszenierung von John Copley.
Wer packend hautnahes Musiktheater mit einer großartigen Anna Netrebko erleben will, wird hier fündig.