4 von 5
HL
23. April 2016
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Sinfonische Anklage gegen die Gewalt
Schostakowitschs 7. Sinfonie wurde im März 1942 uraufgeführt. Wenige Monate später erklang der sinfonische "Koloss" auch in der von deutschen Truppen belagerten Stadt Leningrad (dem heutigen Sankt Petersburg). Das fast 80-minütige Werk gilt als populärste Sinfonie des Komponisten, wird aber nur noch selten aufgeführt. Das wundert mich nicht, denn im Vergleich zur Sinfonik Mahlers (dieser Vergleich bietet sich aufgrund der gewaltigen Architektur an) stellt das Werk in mancherlei Hinsicht eher einen Rückschritt dar. Die Leningrader reicht weder an Mahlers Kunst der Orchestrierung noch an Mahlers thematischer Vielfalt und Originalität heran. Die mangelnde motivische Inspiration wird durch einen nicht selten lärmenden Einsatz der Blechbläser überspielt. Das marschartige Hauptmotiv (auch Invations- oder Stalinthema genannt) des fast eine halbe Stunde dauernden ersten Satzes wird bis zur Erschöpfung wiederholt. Am Ende des Satzes frage ich mich als Hörer, was ich außer dieser Monothematik überhaupt mitgenommen habe. Auch der dritte und vierte Satz leiden unter einer ausladenden epischen Breite. Natürlich bietet die Leningrader auch spannende und ergreifende Momente. Mir gefällt auch Schostakowitschs tonale Tonsprache. Ich vermisse in dieser Sinfonie aber die thematische Dichte und die Abwechslung, wie sie beispielsweise für Schostakowitschs großartige Klavierkonzerte und für seine Jazz-Suite so charakteristisch sind. Trotz etwas ermüdender "Längen" empfehle ich die Beschäftigung mit der Leningrader aber dennoch - dafür spricht schon ihr geschichtlicher Hintergrund. Bernhard Haiting und die Londoner Philharmoniker interpretieren das Werk auf höchstem Niveau und der Klang der 1979 aufgenommenen und erstmals 1980 bei Decca veröffentlichten Einspielung ist großartig. Es ist der typische Decca-Klang, der zu Beginn des CD-Zeitalters ein von anderen Labeln selten erreichtes Maximum an Präsenz und Transparenz bietet.