Chance vertan, Chance genutzt
The Beatles Live At The Hollywood Bowl
Endlich! So dürfte man sich ausschließlich äußern, wenn man die Rufe der vergangenen 20 Jahre in den Ohren hat, die unermüdlich die Veröffentlichung dieses Albums auf CD forderten. Man hat also die Rufe erhört, oder? Beatlesfans sind ja mitunter berüchtigt, daß die offiziellen Veröffentlichungen nicht unbedingt kritiklos hingenommen werden. Auch dieses Mal ist eine gewisse Kritik durchaus berechtigt. Doch der Reihe nach.
Betrachtet man die Veröffentlichung als Zugabe zum Film Eight Days A Week The Touring Years, dann ergibt das einen gewissen Sinn, denn die CD soll den Film unterstützen. Deshalb auch das Cover in der Version des Filmes. Allein für sich betrachtet ist auch die Tonqualität insofern in Ordnung, wenn man berücksichtigt, daß es sich um über 50 Jahre alte Aufnahmen handelt, die zudem unter außergewöhnlichen Bedingungen bewerkstelligt werden mußten: Auf drei Spuren sollten Gesang, Gitarren, Bass und Schlagzeug gemeinsam aufgenommen werden, dazu der nahezu ohrenbetäubende Lärm von 20.000 unablässig kreischenden Teenagern. Man kann sich vorstellen, warum die Beatles und George Martin immer gegen eine Veröffentlichung waren. All das im Hinterkopf haben Giles Martin und das Team doch eine gute Arbeit abgeliefert. Genauso (Soundqualität und daß es überhaupt erscheint) kann man es auch bewerten, wenn man dieses Album als zeithistorisches Dokument betrachtet Liveaufnahmen der Beatles sind selten und wenn überhaupt nur auf Bootlegs erhältlich. Insofern ist es nur nachvollziehbar, daß endlich die Aufnahmen aus der Hollywood Bowl offiziell erscheinen. Hier haben Apple / Universal alles richtig gemacht?
Doch das ist nur die eine Seite der Betrachtung. Denn genauso gut könnte man sagen: Chance vertan. Als Wiederveröffentlichung des originalen Albums The Beatles At The Hollywood Bowl ist nun Live At The Hollywood Bowl eine schlechte Veröffentlichung. Zu deren Ehrenrettung muß man aber auch erwähnen, daß schon die 1977er Ausgabe ebenfalls keine optimale (weil unvollständige) war. Unvollständig seinerzeit, weil George Martin befand, daß die 13 veröffentlichten Titel noch die besseren unter den vorhandenen 36 Aufnahmen waren. Hört man sich heute die Bonustracks an, weiß man, warum. Für die Nachveröffentlichung 2016 hätte man ohne Probleme, wenn man die Aufnahmen im zeitlichen Kontext betrachtet, auf alle vorhandenen Stücke zurückgreifen müssen. Galt es 1977 eine klanglich optimale LP zu konstruieren (weil eben kurz zuvor die Live At The Star Club LP erschien, versuchte man mit dem klanglichen Mehrwert und der ersten offiziellen Live LP zu punkten), gilt 39 Jahre später eher das historische Denkmal für die Nachwelt zu erhalten. Genau das aber hatten die Macher bei Apple und Universal natürlich nicht im Sinn. Was für Universal noch halbwegs nachvollziehbar ist (Profit), gerät bei Apple (den Hütern des Beatleswerkes) geradezu unverzeihlich. In diesem Zusammenhang gerät diese Veröffentlichung zum Desaster, denn 4 Bonustracks schlicht aus dem Zusammenhang zu reißen und einfach dranzuhängen ergibt nicht viel Sinn. Wobei man berücksichtigen muß vor welcher Schwierigkeit man da stand. Die Beatles spielten 1964 folgende Songs im Konzert:
Twist And Shout / You Can´t Do That / All My Loving / She Loves You / Things We Said Today / Roll Over Beethoven / Can´t Buy Me Love / If I Fell / I Want To Hold Your Hand / Boys / A Hard Day´s Night / Long Tall Sally. Und in den beiden Shows von 1965:
Twist And Shout / She´s A Woman / I Feel Fine / Dizzy Miss Lizzy / Ticket To Ride / Everybody´s Trying To be My Baby / Can´t Buy Me Love / Baby´s In Black / I Wanna Be Your Man / A Hard Day´s Night / Help / I´m Down.
Die Bonustracks hier in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, ist schlicht unmöglich. Zudem fehlen dann als Bonus die Songs I Wanna Be Your Man / I Feel Fine / If I Fell und I´m Down. Hier wäre es bedeutend besser und auch nachvollziehbarer gewesen, wenn man eine Veröffentlichung im Sinne der Musikgeschichte geplant hätte. Als Boxset und dann mit allen drei Konzerten, die in der Hollywood Bowl aufgenommen wurden. Diese Chance hat man vertan zugunsten einer Verkaufsstrategie, die in erster Linie den amerikanischen Markt im Auge hat. Das Cover ist für diese Veröffentlichung (im historischen Kontext) völlig absurd und überflüssig. Hier steht alleine der Zusammenhang zum Film im Vordergrund, aber mit Live At The Hollywood Bowl hat es nun rein gar nichts zu tun. Die Beatles stehen in Seattle auf der Gangway kurz vor dem Abflug nach Vancouver, wo sie am Abend des 22. August 1964 im Empire Stadium das nächste Konzert spielen. Von dort aus geht es dann nach Hollywood, wo am 23. August die ersten Aufnahmen gemacht werden. Immerhin hat man es aber geschafft, den von John Lennon vorgeschlagenen Titel Live At The Hollywood Bowl zu verwenden. Das Cover der originalen LP ist auch keine herausragende Kreativarbeit, hat aber immerhin Lennons originale Vorschläge (nice + simple) berücksichtigt, und im Inneren des Klappcovers ein großes Bühnenbild mit aufgedruckten Souvenirs. Dagegen gerät das aktuelle Cover zum reinen Werbegag. Nicht zum ersten Mal der Griff in die Tonne: man hat noch das grauenhafte Cover von Let It Be....Naked im Kopf.
Zum Sound: wie oben erwähnt, für eine Veröffentlichung 52 Jahre alter Aufnahmen unter Berücksichtigung der genannten Besonderheiten gut, aber wenn man die Dr. Ebbett´s Bootleg CD hat, weiß man, daß diese Leute es ebensogut hinbekommen haben und teilweise sogar besser. Im Gegensatz zur LP hat man es geschafft, das Hintergrundgekreische etwas herunter zu pegeln, aber es wirkt insgesamt ein wenig dumpf. Ob man es wirklich hätte durchgehend besser machen können, ist hier nicht zu beantworten. Insofern würde ich sagen: geht in Ordnung. Vergleiche mit der LP-Version sind ohnehin erst möglich, wenn die LP-Ausgabe der aktuellen Veröffentlichung vorliegen. Fazit: Apple / Universal haben die Chance vertan, eine umfassende Veröffentlichung musikhistorisch bedeutender Aufnahmen vorzulegen. Ebenso wurde die Chance vertan, eine besondere Spezies, nämlich die Fans und die Sammler, glücklich zu machen, denn hier hätte eine Komplettveröffentlichung in der entsprechenden Verpackung rundum zufriedene Käufer gefunden. Betrachtet man das Ganze jedoch als Beiwerk zum Film und daß es überhaupt erscheint, auch damit die nächste musikbegeisterte Generation die Beatles für sich gewinnen kann dann haben sie, nicht alles, jedoch einiges richtig gemacht.